Nachlese und Handlungsempfehlungen Mittelstandsimpulse+ der Mittelstandsallianz des BVMW
Thema des logistic-natives e.V.:
EU MwSt. Ecommerce Paket- Die rasante Disruption des gesamten Handels und die Chancen beziehungsweise Risiken des Wirtschaftsstandortes Deutschland
Sehr geehrte Damen und Herren,
ganz herzlich bedanke ich mich im Namen der logistic-natives für den fruchtbaren Austausch im Rahmen des parlamentarischen Frühstücks „Mittelstandsimpulse+“ der Mittelstandsallianz des BVMW am 22.04.2021.Ich habe mit Freude wahrgenommen, dass Ihnen die Digitalisierung des modernen Handels am Herzen liegt und Sie die aktuelle Pandemie und das EU Ecommerce Package ebenfalls als Chance sehen, um die Weichen für eine funktionierende Zukunft des modernen deutschen Handels zu stellen. Die momentanen Rahmenbedingungen sorgen dafür, dass sich die gesamte Branche in einer Disruption befindet; ein Händler steht vor der Herausforderung, seine gesamten Businessprozesse zu ändern. Für die gesamte Branche entsteht eine neue (digitale) Infrastruktur. Wir haben es mit einer kompletten Datendisruption zu tun. Selbstverständlich können wir Sie in Ihrer Ansicht nur unterstützen, dass die Vielfalt der Branche gewahrt bleiben muss und Chancengleichheit sichergestellt wird. Dies wird aus unserer Sicht gerade durch die Harmonisierung, und die Schaffung von Normen und Standards für alle Teilnehmer aus der Branche gewährleistet werden können. Daher möchte ich Ihr Angebot einer Gesprächsnachlese nutzen und Ihnen anbieten, uns in einem regelmäßigen Dialog aktiv einzubringen. Gerne sende ich Ihnen anbei eine Übersicht zu den aktuellen politischen Entwicklungen rund um die komplexe Thematik zu, um mit Ihnen den erwähnten nachhaltigen Dialog, natürlich auch gerne gemeinsam mit dem BVMW und seiner Mittelstandsallianz, zu starten. Für Rückfragen oder ergänzende Unterlagen stehe ich Ihnen jederzeit sehr gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Florian Seikel
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A. Hintergrund
Der digitale Einzelhandel wird in Deutschland 2021 1/6 des gesamten Einzelhandelsvolumens überschreiten. Das Jahressteuergesetz 2020 setzt in Deutschland das EU MwSt. Ecommerce Paket mit 1. Juli 2021 um. Abgesichert wird, dass für jede digital gekaufte Handelsware die fällige MwSt. erhoben, und für aus dem nicht-EU Ausland importierte Waren auch Zoll gezahlt wird.
Der digitale Einzelhandel muss dazu bei Verkauf, alle Daten, inklusive der Versanddaten, noch vor dem tatsächlichen Versand an den Konsumenten, dokumentieren. Ziel ist es den digitalen Einzelhandel mit dem stationären Handel (dem bereits heute entsprechende dokumentations-pflichten treffen) gleichzustellen. In den letzten Jahren kam es im grenzüberscheitenden Ecommerce aus nicht-EU Staaten, als auch zwischen EU-Staaten zu Abgabenhinterziehung und Zollbetrug.
Der deutsche Gesetzgeber hat erkannt, dass die Zustellung von Warensendungen, die bis dato ohne Transparenz auf die Transaktion erfolgte, oftmals auch für kriminelle Handelsgeschäfte genutzt wird. Dem schiebt die anstehende Novelle der deutschen Strafprozessordnung und des Bundeskriminalamtgesetzes, die verpflichtende Datenvorabmeldungen zu Warensendungen vorsieht, einen Riegel vor.
• Digitalisierung der Zustelldaten sichert den lokalen Einzelhandel
Mit der Harmonisierung der Daten zu jeder Ecommerce Transaktion müssen aber auch grundlegende Infrastrukturdaten standardisiert, und für alle Wirtschaftsbeteiligten, die an der Leistungserbringung unmittelbar oder auch mittelbar beteiligt sind, verfügbar gemacht werden, dazu gehören:
i. Die Namen und Anschriften von Absendern, Empfängern und, soweit abweichend, von denjenigen Personen, welche die jeweilige Postsendung eingeliefert oder entgegengenommen haben;
ii. Die Art des in Anspruch genommenen Postdienstes2 (ein-eindeutige Kennung);
iii. Maße und Gewicht der jeweiligen Postsendung;
iv. Die vom Postdienstleister zugeteilte Sendungsnummer (ein-eindeutige Transport-kennung, von einem autorisierten Postdienst vergeben) der jeweiligen Postsendung sowie, sofern der Empfänger eine Abholstation mit Selbstbedienungs-Schließfächern (ein-eindeutig digital identifizierbar) nutzt, dessen persönliche Postnummer,
v. Zeit- und Ortsangaben zum jeweiligen Postsendungsverlauf (es müssen die unterschiedlichen Systeme [track & trace] harmonisiert werden); sowie
vi. Zu Zwecken der Erbringung der Postdienstleistung erstellte Bildaufnahmen von der Postsendung.
Die durch den europäischen, insbesondere durch den deutschen Gesetzgeber angestoßene Harmonisierung, die bereits von den Wirtschaftsbeteiligten über das Deutsche Institut für Normung (DIN) aufgegriffen wird, unterstützt die Digitalisierung des Einzelhandels, indem die notwendige Sicherheit durch offene Harmonisierung und Standardisierung als Voraussetzung zum Eintritt in den digitalen Einzelhandel geboten wird.
Es gilt die Beteiligung des Mittelstandes, der Kommunen und der Aufsichtsbehörden zu stärken und zu fördern.
B. Konkrete Handlungsempfehlungen
1. EU Ecommerce Paket
a. Sicherstellung der Umsetzung des EU MwSt Ecommerce Paket zum 01. Juli 2021. Hier darf es insbesondere der Chancengleichweit und Wettbewerbsverzerrung zu keiner weiteren Verschiebung kommen.
2. Gesetzes zur Änderung der Strafprozessordnung – Gesetz zur Ermöglichung von Auskunftsverlangen über retrograde und künftige Postsendungsdaten
a. Sicherstellung des Zugangs der verfügbaren Warensendungsdaten aus dem Netz des Weltpostvereins zu Warensendungen an deutsche Behörden. Dies darf nicht dem benannten Postbetreiber überlassen werden. Vielmehr muss eine entsprechende gesetzliche Grundlage zum verpflichtenden Austausch von Warensendungsdaten mit den deutschen Behörden geschaffen werden.
b. Die notwendigen, gesetzlichen und regulatorischen Rahmenbedingungen für die digitale Identifizierung der Postbetreiber (Post-, Kurier-, Express- und Paketzustelldienstleister), sowie die ein-eindeutige Vergabe von Transportkennzeichnungen und deren digitale Verwaltung müssen festgeschrieben werden. Dies etwa durch eine entsprechende Kompetenzerweiterung der Bundesnetzagentur.
c. notwendige, technische und nachrichtenspezifische Normierungen müssen unterstützt werden. Die Umsetzung sollte durch Wirtschaftsbeteiligte, gezielt durch dazu geschaffene Normungsorganisationen (Deutsches Institut für Normung; DIN) erfolgen, um rasch eine breite Umsetzung zu erreichen.
d. Vereinheitlichung der Zeit- und Ortsangaben zum jeweiligen Postsendungsverlauf (es müssen die unterschiedlichen Systeme [track & trace] harmonisiert werden)
3. IT Sicherheitsgesetz
a. die Absicherung der Netz- und Informationssysteme ist neben dem rechtlichen Spezifikationsrahmen der Frachttransportinformation zu gewährleisten.
b. Systeme im Bereich der Handelswarenzustellung an Endkonsumenten (Weltpostverein; EU-MWSt. Ecommerce Paket; Import Control System 2, Konformitätserklärungen, Verkehrsverbote im Rahmen der Verpackungsverordnung, sowie der Kreislaufwirtschaft), sowie die Transportlogistik müssen zur systemrelevanten Infrastruktur zählen.
c. Der Austausch von fortgeschrittenen digitalen Daten zwischen Behörden und Wirtschaftsbeteiligten zu jeder Warensendung muss vor deren physischem Transport die Bereitstellung eines Dienstes, der abhängig von Netz- und Informationssystemen ist, verlangen.
d. alle Netzausrüster müssen gleiche Chancen eröffnet werden, um ihre Vertrauenswürdigkeit allein an objektiv-technischen Kriterien und für alle gleichermaßen geltenden Zertifizierungen zu prüfen.
C. Hintergrundinformationen zur Datengesteuerte Warenzustellung
Verpflichtende Bereitstellung von Daten vor dem Versand erhöht die Zustelleffizienz, gewährleistet Zustellpräferenzen der Empfänger und ermöglicht Nachhaltigkeit
Mit der Umsetzung des EU MwSt. Ecommerce Pakets (RICHTLINIE (EU) 2017/2455 DES RATES vom 5. Dezember 2017) beginnt am 1. Juli 2021 ein neues Zeitalter für die Zustellung von Warensendungen in der Europäischen Union. Ziel ist es, die im digitalen Handel bei Distanzkäufen verfügbaren Daten, zwischen den an der Leistungserbringung Beteiligten, vor der physischen Zustellung in harmonisiertem Format auszutauschen.
EU Zolldatenmodel: Ende von Einfuhrumsatzsteuerbetrug und Zollhinterziehung
Die jetzt umzusetzenden MwSt.- und Zollvorgaben stellen zunächst nur gleiche Wettbewerbs-bedingungen zwischen hauptsächlich asiatischen und europäischen Ecommerce Händlern her. Das wird erreicht, indem die Einfuhrumsatzsteuerfreigrenze von EUR 22 / 44 abgeschafft wird. Dazu wird eine verpflichtende digitale Vorab- Zolldeklaration für Waren mit geringem Wert bei Warenimporten in die EU eingeführt.
Abgabe der Zollanmeldung für Sendungen geringen Werts im Bestimmungsland
Ab 1. Juli 2021 gilt, die Abgabe der Zollanmeldungen für Sendungen geringen Werts hat im Bestimmungsland (gem. Art. 221 (4) UZK-IA) zu erfolgen. Ausnahme dazu ist das Import-One-Stop-Shop System. Es erlaubt, dass die Warensendungen dem Zoll in einem beliebigen EU-Mitgliedsstaat gestellt werden, und dort für die Zustellung in der gesamten EU freigegeben werden können. Mit der Verwendung des Import-One-Stop-Shop (IOSS) Systems für die genannten Distanzkäufe aus Drittstaaten bei Import in die EU, sind diese Sendungen von der Einfuhrumsatzsteuer (EUSt.) befreit. Die EUSt. wird bereits beim Kauf am Point of Sale (PoS) eingehoben. Notwendig ist dazu eine Fiskalrepräsentanz über einen EU-Mitgliedsstaat nach Wahl des Verkäufers (s.g. Mitgliedsstaat der Identifikation), der sich zur Begleichung der MwSt.-Pflicht monatlich, einer IOSS-MwSt. Identifikationsnummer, gültig für die gesamte EU bedient.
One-Stop-Shop bei EU-weitem Jahresumsatz von mehr als EUR 10K
Für Warensendungen innerhalb der EU wird das One-Stop-Shop System ausgeweitet. Über dem Schwellenwert von EU-weit EUR 10K Jahresumsatz kommen für die Rechnungsstellung die Regelungen des EU-Mitgliedsstaates des Verbrauchs (d.h. dort wo der Erwerber ist) zur Anwendung. Auch hier wird es möglich mit der MwSt. Identifikationsnummer eines EU-Mitgliedsstaates die MwSt. -pflicht für die gesamte EU, quartalsweise zu begleichen.
EU Zolldatenmodel bestimmt die Datenharmonisierung vom PoS bis zum Empfänger
Am Point of Sale verfügbaren Daten gewährleisten im digitalen Einzelhandel:
• die Sicherheit der Produkte
Handelswaren müssen für den online Einzelhandel generisch, mittels des harmonisierten Zollkodes (zumindest mittels HS 6-digit Code) und auch individuell (zumeist geschieht dies über eine international verfügbare „Trade Item Number“) digital beschrieben werden. Freilich diese Beschreibungen umfassen auch die Maße, das Gewicht, Bilder, in dem meisten Fällen auch Herstellererklärungen, Konformitätserklärungen oder bei einzelnen Warenkategorien auch den Verweis auf eine Repräsentanz in der EU.
• die Sicherheit der Logistik und des Transports;
Das mit 15 März 2021 eingeführte Import-Kontroll-System 2 (ICS2) der EU, zunächst für den Flugfrachtverkehr für Post- und Expresssendungen, nutzt die digital verfügbaren Daten, die vorab zwischen den Flugfrachtbetreibern und den EU-Behörden ausgetauscht werden müssen, um die Transportsicherheit zu gewährleisten. Bis 2024 wird es zu einer Volldigitalisierung aller Frachtinformationssysteme der EU kommen, alle Transport- und Logistikkanäle werden umfasst. Auch hier ist das EU Zolldatenmodel der erste Schritt zur Umsetzung des EU-Transportdatenmodells.
• gleiche Wettbewerbsbedingungen, indem die Zahlung von Steuern und Abgaben gewährleistet wird;
Die am PoS verfügbaren digitalen generischen und individuellen Warenbeschreibungen ermöglichen, in Verbindung mit den Zustelldaten (dort, wo der Konsument ist) eine genaue Bemessung der Einfuhrabgaben und Zölle. Im besten Fall werden diese Abgaben für den Fall von Warensendungen mit geringem Wert, bereits über den PoS mittels (I)OSS bei Kauf vereinnahmt und monatlich, oder im OSS quartalweise an die zuständigen Behörden abgeführt.
• die nachhaltige Verwaltung der Verpackung und des Produktlebenszyklus;
Das Aktionsprogram der Europäischen Kommission zielt auf eine grundlegende Erweiterung des heute bereits umzusetzenden EU-Zolldatenmodels ab. So werden die genutzten Verpackungen für den Distanzhandel in Registern erfasst. In der Folge werden die EU-Mitgliedsstaaten dazu übergehen, die heute bestehenden Vertriebsverbote durch Verkehrsverbote zu verschärfen. Damit müssen die Meldungen zu den genutzten Verpackungen an die zuständigen Registerbehörden vor einem in den Verkehr bringen erfolgen und auch durch Bevollmächtige der Versender in der EU abgesichert werden. Gleiches gilt für den Lebenszyklus der Waren, und deren nachweislich nachhaltiger Verwertung nach deren Gebrauch.
• eine individuelle Zustellanweisungen der Empfänger
Wesentlich für die Leistungserbringung im digital gestützten Distanzhandel ist die Zustellung. Dazu wird sich in den kommenden Jahren eine betreiberunabhängige Annahme und Abgabeinfrastruktur etablieren, die den Präferenzen der Empfänger entspricht. Ähnlich wie in den letzten Dekaden die Briefkästen allen Zustellern geöffnet wurden, werden Paketannahme und -abgabesysteme (Boxen, Stationen, auch Drop-off / Pick-up oder auch Click & Collect) allen datengestützt geöffnet. Jene Länder, die in der Entwicklung der EU voraus sind, wie Singapore, Macau, China, haben dazu bereits die rechtlichen und regulatorischen Grundlagen geschaffen und verabschiedet. Freilich, bei einem Anteil von annähernd 50% des digitalen Einzelhandels und harmonisierter datengestützter Zustellung wäre es nicht anders zu schaffen.
Harmonisierung unter Einbindung aller Wirtschaftsbeteiligten
Der Gesetzgeber und die Regulierungsbehörden haben bereits die Weichen gestellt, um alle Betroffenen in die Gestaltung der Rahmenbedingungen mit einzubeziehen. Dazu ist in Deutschland das Deutsche Institut für Normung (DIN), in Europa das Europäische Komitee für Normung, neben den Regierungs- und Regulierungsstellen eingebunden. Ohne digitale ein-eindeutige Kennungen der Wirtschaftsbeteiligen, der Handelswaren, der Art der Verpackungen, der Verfolgbarkeit der Warensendungen und auch dem betreiberunabhängigen Zugang zur Abgabe- und Hinterlegungsinfrastruktur, werden die bereits dokumentierten Effizienz- und Ökologisierungschritte in den kommenden 3 Jahren nicht umzusetzen sein.
Aktuelle Stellungnahmen, Verbandsschreiben
Stellungnahme zu einem: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Strafprozessordnung – Gesetz zur Ermöglichung von Auskunftsverlangen über retrograde und künftige Postsendungsdaten
https://logistic-natives.com/wp-content/uploads/2021/04/Stellungnahme_Strafprozessordnung_logistic-natives-e.V._26.03.21.pdf
Offener Brief an das Bundesministerium der Finanzen
https://logistic-natives.com/wp-content/uploads/2021/03/Letter-to-German-Ministry-Finance-DE.pdf
Wissenstransfer / Erstellung eines Leitfadens
Sehr gerne bieten wir unsere Expertise an und unterstützen Sie bei dem Wissenstransfer Richtung Wirtschaft und insbesondere Mittelstand. Die Frage ist, wie Sie die moderne Handelsbranche direkt und pragmatisch bei der Digitalisierung und den anstehenden Herausforderungen unterstützen können. Wir können für Sie, Ihr Wahlkreisbüro und Ihre Partei beispielsweise Leitfäden für eine funktionierende Umsetzung des EU Ecommerce Pakets in die Praxis mit spezifischen mittelstandsgeprägten, regionalen Lösungen erstellen. Diese können Sie selbstverständlich für Ihren Wahlkampf- insbesondere direkt im Wahlkreis im Dialog mit den Unternehmen- nutzen und einsetzen können. Dies können wir mit unseren Partnern aus der Wissenschaft erstellen. Sehr gerne eruieren wir gemeinsam mit Ihnen, welche Fördermittel und Ressourcen hierfür bereitstehen.
Florian Seikel
logistic-natives e.V.
Geschäftsführer / Director General
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